"Der Blick über den Tellerrand fehlt der deutschen Politik etwas" – Seite 1
Im Jahr 2022 hat sich die frühere CDU-Vorsitzende und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer aus der Parteipolitik zurückgezogen. Sie leitet jetzt eine entwicklungspolitische Kommission zur "Welt im Umbruch", die gerade ihre Ergebnisse vorgelegt hat. Diese Woche ist die 62-Jährige aus dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken ausgetreten, im Konflikt über die migrationspolitischen Abstimmungen der CDU im Bundestag. Wie denkt sie über die Brandmauer zur AfD, wie über den Wahlkampf und Konservatismus? Und wie soll Deutschland seine Interessen gegenüber dem sogenannten Globalen Süden vertreten? Zur Begrüßung in der Landesgeschäftsstelle der CDU im Saarland schwärmt Kramp-Karrenbauer erst einmal von einem sonnigen Kurzurlaub mit ihrem Ehemann im Hunsrück. Im Wohnmobil. Damit habe sie sich einen Traum erfüllt, erzählt sie.
ZEIT
ONLINE: Plötzlich Privatleben, plötzlich kein Termindruck mehr: Wie schwer war
es, aus dem durchgetakteten politischen Alltag auszusteigen?
Annegret Kramp-Karrenbauer: Der Übergang braucht etwas Zeit. Besonders der Körper hat Nachholbedarf und nutzt die Möglichkeit, sich endlich hier oder da mal wieder beschweren zu können. Aber ich genieße meine persönliche Freiheit sehr. Meine politische Leidenschaft hat aber nicht aufgehört, ich bin weiter aktive Bürgerin. Auch in der CDU – aber da nicht mehr vorn auf der Bühne.
ZEIT ONLINE: Das Scheinwerferlicht fehlt Politikern im Off meist besonders, Ihnen auch?
Kramp-Karrenbauer: Vermutlich macht es einen Unterschied, ob man sich während der intensiven Politikphase daneben ein anderes Leben bewahrt hat. Ich bin immer in meiner großen Familie eingebunden geblieben, in meinem gewohnten Umfeld, und insofern nicht ins Bodenlose gefallen. Nun habe ich einfach mehr Raum für diese andere Seite des Lebens. Außerdem erleichtert es den Übergang, wenn man nicht gegen seinen Willen aus einem Amt gedrängt wird, sondern wie ich eine persönliche Entscheidung trifft.
ZEIT ONLINE: Sie standen vor Ihrem Rücktritt aber auch in der Kritik – unter anderem, weil Sie die Wahl des liberalen Thüringer Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich auch mit den Stimmen der CDU und der AfD nicht verhindern konnten. Haben Sie ein Déjà-vu, wenn Friedrich Merz, der Sie damals auch kritisiert hat, jetzt selbst AfD-Stimmen in Kauf nimmt?
Kramp-Karrenbauer: Nein, kein Déjà-vu.
ZEIT ONLINE: Dabei gibt es noch eine Parallele: Angela Merkel, die zu dieser Zeit noch Bundeskanzlerin war, hat Sie damals auch getadelt. Jetzt nennt Merkel das Vorgehen von Friedrich Merz schlicht falsch.
Kramp-Karrenbauer: Dass Angela Merkel sich so geäußert hat, ist für mich keine Überraschung. Gestern wie heute wird vor allem deutlich, wie die CDU als letzte verbliebene große Volkspartei immer wieder um ihre Positionen etwa in der Migrationspolitik ringt und auch mit der Frage, wie man die AfD so klein wie möglich hält. Diese Frage stellt die CDU vor Herausforderungen, aber sie zu beantworten, sollte in der Verantwortung aller Parteien der Mitte liegen.
ZEIT ONLINE: Haben Sie die AfD und die Reaktionen auf das Vorgehen in Thüringen seinerzeit unterschätzt?
Kramp-Karrenbauer: Nein, sicher nicht. Aber viele vergessen, dass eine Partei kein Unternehmen ist, in dem es klare Hierarchien und Anweisungen gibt. Die CDU ist ein lebendiger Organismus aus vielen ehrenamtlichen Mitgliedern. Die lassen sich nicht einfach sagen: So wird's gemacht. Der Umgang mit der AfD bleibt ein ständiges Ringen. Ich habe mein Bestes versucht.
ZEIT ONLINE: Wie schätzen Sie die Wahlkampfstrategie des CDU-Kanzlerkandidaten ein, die AfD besiegen zu wollen, indem er ihre Forderungen übernimmt?
Kramp-Karrenbauer: Ich werde hier nicht von der Seitenlinie aus Haltungsnoten verteilen. Wenn ich aktuelle Geschehnisse kommentieren will, dann mache ich das im direkten persönlichen Gespräch. Nur so viel: Die Frage ist nicht, wer welche Forderung von welcher Partei übernimmt, sondern was die Menschen in unserem Land umtreibt. Und darauf darf man die Antworten nicht den Populisten überlassen.
ZEIT ONLINE: 2015 haben Sie noch Merkels Politik der offenen Grenzen unterstützt. Jetzt sind Sie aus dem Zentralkomitee der Katholiken ausgetreten, weil es die Migrationsbeschlüsse von Friedrich Merz scharf kritisiert hat. Woher rührt Ihr Wandel?
Kramp-Karrenbauer: In der Bevölkerung hat sich in der Migrationsfrage etwas verändert. Seit Jahren, seit Monaten, seit Wochen und insbesondere seit Aschaffenburg. Das spüre ich, und ich höre es, wenn ich mich so frei unter den Leuten bewege, wie es vorher nicht möglich war. Es gibt eine Erwartungshaltung, dass Probleme im Alltag wirksam gelöst werden. Die Politik muss darauf eine Antwort geben – gerade aus der Mitte heraus. Und das wird nicht dadurch falsch, dass eine Partei, von der wir wissen, dass sie die Bundesrepublik in ein anderes System verwandeln will, nur dieses Thema kennt.
ZEIT ONLINE: Zigtausende Bundesbürger sind auf die Straße gegangen. Migranten, die in Deutschland aufgewachsen sind, fürchten, bald nicht mehr erwünscht zu sein. Auch aus der evangelischen Kirche gab es Protest und kritische Stimmen nicht zuletzt aus der CDU. Welchen Teil des Volkes will die, wie Sie sagen, "letzte verbliebene Volkspartei" halten und gewinnen?
Kramp-Karrenbauer: Erwin Teufel hat zu Recht gesagt, Politik beginne mit der Betrachtung der Wirklichkeit. Zu dieser Wirklichkeit gehört, dass das europäische Asylsystem nicht so funktioniert, wie es sollte, wenn die Regeln eingehalten würden. Sonst würden wir nicht über Menschen sprechen, die nicht bei uns sein dürften. Ich kenne niemanden in der CDU, der ernsthaft das Asylrecht abschaffen will …
ZEIT ONLINE: Ihr Unionsfreund Markus Söder wollte es aus dem Grundgesetz streichen.
Kramp-Karrenbauer: Ich spreche als CDU-Mitglied, und in meiner Partei will sich auch niemand aus der Genfer Flüchtlingskonvention zurückziehen. Aber gerade, weil die Gesellschaft auch künftig akzeptieren muss, dass Menschen diesen Schutz wirklich brauchen, müssen wir beim Verfahren, bei Unterbringung und Integration verbessern, was nicht gut funktioniert. Dass es hier Probleme gibt, erfahren Sie, wenn Sie mit Kommunalpolitikern sprechen und übrigens auch mit Leuten, die jeden Tag in den Kirchen aktiv sind. Nicht jedes Mitglied im Zentralkomitee der Katholiken stimmt mit dessen Spitze überein.
"Dieses C müssen wir keineswegs streichen"
ZEIT ONLINE: Friedrich Merz erweckt den Anschein, Deutschland könne die Probleme lösen, aber Asylpolitik wird europäisch entschieden.
Kramp-Karrenbauer: An besseren Regeln in der EU arbeiten wir schon lange, leider gibt es da weder bei den Außengrenzen noch bei der Verteilung der Asylbewerber einen Durchbruch. Deshalb halte ich es für berechtigt, über zusätzliche nationale Maßnahmen nachzudenken. Darüber wird jetzt in der Bundestagswahl abgestimmt. Dabei ist vielleicht der größte Unterschied zur AfD, dass wir in der CDU zugleich sagen: Migration hat es immer gegeben, wird es immer geben. Wir wollen Menschen, die Hilfe brauchen, helfen, und wir brauchen Migration mit Blick auf den Arbeitsmarkt.
ZEIT ONLINE: Beide Kirchen werfen der CDU vor, mit ihrer Migrationspolitik die Menschenwürde zu verletzen. Wofür steht noch das C im Namen der Partei?
Kramp-Karrenbauer: Dieses C müssen wir keineswegs streichen, sondern wir sollten es selbstbewusst beibehalten. Wohl wissend, dass damit gemeint war und ist, Politik auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes zu machen. Das bedeutet, den Menschen mit der ihm verliehenen eigenen Würde zu betrachten – aber auch mit seinen Möglichkeiten und seiner Verantwortung. Wir bewerten niemanden als Menschen erster, zweiter oder dritter Klasse. Aber wir sehen Menschen nicht als hilflose Wesen an, die der Staat von der Wiege bis zur Bahre um- und versorgen muss. Diese Grundkoordinaten stimmen nach wie vor.
ZEIT ONLINE: Und was ist heute konservativ?
Kramp-Karrenbauer: Ich darf Paulus zitieren: "Prüft alles und das Gute behaltet." Was konservativ ist, definiert sich für mich immer aus der aktuellen Situation. Wenn wir heute zum Beispiel über Verteidigungspolitik und das Verhältnis zu Russland sprechen, dann fühlt man sich an Debatten aus den Achtzigerjahren erinnert. Konservativ ist heute zum Beispiel, dass wir deutlich mehr Geld für Verteidigung ausgeben müssen. Im Vergleich zu den ehemals in der Nato vereinbarten zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes reden wir jetzt schon von drei Prozent oder sogar noch mehr. Wie gesagt: Wenn Realitäten sich ändern, dann muss sich Politik darauf einstellen.
ZEIT ONLINE: Der Politikwissenschaftler Andreas Püttmann wirft der CDU vor, sie baue ihr Wertesystem ab und werde zum wirtschaftsliberalen "Tory-Projekt".
Kramp-Karrenbauer: Eine Tory-Partei war die CDU noch nie und will sie auch nicht sein. Mehr Liberalität brauchen wir vor allem in Form eines Abbaus unsinniger Bürokratie. Das wichtige Wahlkampfthema aber ist die Wirtschaft. Unsere Geschäftsgrundlage in Deutschland ist massiv unter Druck geraten. Die globale Ordnung aus einem regelbasierten Freihandel und multilateralen Organisationen, von der wir als Exportweltmeister enorm profitiert haben, kommt massiv unter Druck durch neue Zollkriege und durch Technologievorsprünge in China und USA. Unsere Unternehmen müssen unter einem zu hohen Kostendruck produzieren, es fehlen Fachkräfte, Sozialsysteme kommen an ihre Grenzen: tiefgehende Reformen sind notwendig.
ZEIT ONLINE: Von tiefen Reformen ist im Wahlkampf gerade nicht die Rede. Die Bürger spüren den elementaren Wandel, aber auch die CDU signalisiert: Grenzen dicht, fleißig arbeiten, weg mit dem Heizungsgesetz, zurück zum Verbrenner – und alles wird wieder gut, alles wird wie früher.
Kramp-Karrenbauer: Diese Einschätzung mache ich mir nicht zu eigen. Genau darin unterscheiden wir uns doch von den Populisten. Wenn Deutschland sich auf stürmischer See befindet, dann behauptet die AfD: Man muss einfach den Wind abstellen und zurückrudern ins Kleine, ins Nationale. Die CDU übernimmt Verantwortung mit einem ehrlichen Versprechen: Es wird eine raue Zeit, aber gemeinsam mit euch kommen wir durch.
ZEIT ONLINE: Wie verantwortungsvoll ist es denn, den Klimawandel und die Krise der Biodiversität aus diesem Wahlkampf fast komplett auszuklammern?
Kramp-Karrenbauer: Man darf die
Möglichkeiten der Parteien, Themen auf alles beherrschende Weise zu setzen, nicht
überschätzen. Die Europawahl ist der beste Beleg dafür: 2019 war er komplett
vom Klima beherrscht, fünf Jahre später gab es den Backlash. Im Moment spielt das Klima eine Rolle, aber nicht mit der großen publizistischen Wucht. Migration und Wirtschaft sind die Themen – ob einem das gefällt oder nicht.
ZEIT ONLINE: Das klingt ziemlich defensiv. Reagiert Parteipolitik tatsächlich nur auf Umfragen, Schlagzeilen, Stimmungen?
Kramp-Karrenbauer: Natürlich sind Parteien der Öffentlichkeit nicht hilflos ausgeliefert. Die Herausforderung beim Klimaschutz ist aber, dass wir bei diesem Thema mittlerweile eine Art Grundrauschen haben, mit dem alle leben. Es geht nicht mehr um die Frage, ob es einen Klimawandel gibt und ob man was tun muss, sondern um komplexe Sachfragen auf dem Weg in die Zukunft. Auch daher rührt die Abwesenheit im Wahlkampf. In den Kommunen und auf Landesebene wird aber intensiv über diese Umsetzungsfragen diskutiert, auch in der CDU. Nach der Wahl wird das Thema wieder groß werden, weil es groß ist.
ZEIT ONLINE: Viele Grüne wirken heute konservativer als die CDU. Verwurzelung in Natur und Landschaft, regionales Wirtschaften, die Schöpfung bewahren: Verpasst Ihre Partei eine Chance, ihre Traditionen und Werte ökologisch neu zu definieren?
Kramp-Karrenbauer: Nachhaltigkeit ist eines der christlichen Urthemen und Thema auch in der CDU. Selbstkritisch betrachtet – und ich nehme mich da keineswegs aus – müssen wir feststellen, dass wir die Klima- und Umweltpolitik lange zu sehr den Grünen und dem von ihnen geprägten Zeitgeist überlassen und die Chancen der ökologischen Transformation nicht gesehen, zumindest nicht offensiv vertreten haben.
ZEIT ONLINE: Mit Klaus Töpfer und Horst Köhler sind jüngst zwei große Weltbürger in der CDU gestorben. Wie sehr fehlt Ihrer Partei jetzt der Blick über den deutschen Tellerrand?
Kramp-Karrenbauer: Der Blick über den Tellerrand fehlt der deutschen Politik generell etwas. Wir brauchen dringend eine konsistente Strategie für die Länder, die nicht zu Europa gehören und weder die Vereinigten Staaten von Amerika sind noch gleich gesinnte Partner in der Welt. Wir müssen den Ländern neu begegnen, die man als Globalen Süden bezeichnet – so problematisch dieser Begriff ist.
"Deutschland muss mehr Verantwortung übernehmen"
ZEIT ONLINE: Sie leiten ehrenamtlich die zehnköpfige Kommission Welt im Umbruch, ins Leben gerufen von der Initiative Global Perspectives, finanziert von der Bill-Gates-Stiftung. Auch Joschka Fischer ist Mitglied, ebenso der Klimaforscher Ottmar Edenhofer und der Vorsitzende der Stiftung Wissenschaft und Politik, Stefan Mair. Warum braucht man jetzt so eine Kommission?
Kramp-Karrenbauer: Weil sich die Debatten über globale Entwicklungszusammenarbeit, die EZ, verschärfen. Seit einiger Zeit muss sich die EZ nicht mehr nur zu der Frage rechtfertigen, ob Geld sinnvoll, effizient und wirksam eingesetzt wurde. Jetzt stellen die einen, etwa Populisten, Entwicklungspolitik insgesamt infrage, andere diskutieren oberflächlich über die Zusammenlegung von Ministerien. Dem wollen wir etwas entgegensetzen.
ZEIT ONLINE: Was sind Ihre Kernbotschaften?
Kramp-Karrenbauer: In einer Welt, die vom Klimawandel, vom Rückzug der USA aus globalen Institutionen auf Geheiß von US-Präsidenten Trump, zudem von aufstrebenden Großmächten und neuer Geopolitik geprägt ist, muss Deutschland mehr Verantwortung übernehmen und sich noch viel stärker international engagieren. Die Unterscheidung zwischen Innen- und Außenpolitik trägt längst nicht mehr. Eine Zeitenwende in der Verteidigungspolitik war richtig, aber dabei sind noch nicht alle anderen Politikfelder mitgedacht worden. Wir müssen die Entwicklungszusammenarbeit strategisch mit der Verteidigungs-, der Außen-, Umwelt- und Wirtschaftspolitik zusammendenken – und das viel stärker auch mit Blick auf deutsche Interessen.
ZEIT ONLINE: In Ihrem Bericht kommen die globalen Machtverhältnisse vor, aber kaum, dass Unterernährung, Hunger und Gewaltkonflikte in vielen Weltregionen zunehmen und die globalen Ziele zur Armutsbekämpfung zu scheitern drohen. Soll diese Kernaufgabe der Entwicklungspolitik keine Priorität mehr haben?
Kramp-Karrenbauer: Natürlich steht außer Frage, dass wir Hunger und Armut bekämpfen und bei humanitären Katastrophen und Gesundheitskrisen helfen. Auf diese globalen Ziele haben wir uns verpflichtet, und sie liegen übrigens in unserem eigenen Interesse.
ZEIT ONLINE: Aber während sich Militärausgaben verdoppeln, wollte die Bundesregierung Gelder für humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit zuletzt drastisch kürzen. Müssten sie nicht auch verdoppelt werden, gerade wenn man die Politikfelder zusammendenkt und globalen Krisen vorbeugen will?
Kramp-Karrenbauer: Wir plädieren jedenfalls klar dafür, jetzt nicht alles, was mit internationaler Politik und Entwicklungszusammenarbeit zu tun hat, zur Seite zu legen – nach dem Motto: Wir haben erst mal genug mit uns selbst zu tun. Man muss aber kein Prophet sein, um zu erkennen, dass die öffentlichen Haushalte bei anhaltend schwachem Wirtschaftswachstum und steigenden Anforderungen immer stärker unter Druck kommen werden. Deshalb schlagen wir vor, die Hebelwirkung entwicklungspolitischer Ausgaben mit der Unterstützung privater Investitionen zu steigern. Die Bundesregierung muss das durch neue Anreize, Risikogarantien und Kapitalförderung stärken. So können wir für Wachstum und Wertschöpfung im Globalen Süden sorgen, aber durch gute Ergebnisse unserer Unternehmen auch für positive Impulse bei uns. Das machen im Moment wenige, weil sie sagen: Die Länder sind zu instabil. Aber dort liegen auch neue Märkte, und andere Länder sind schon aktiver.
ZEIT ONLINE: Solche Angebote haben Entwicklungsminister immer wieder gemacht, aber die deutschen Unternehmen haben trotzdem kaum investiert, weil ihnen die Risiken zu groß waren.
Kramp-Karrenbauer: Man muss jedes Land konkret anschauen. Natürlich gibt es zerfallende Staaten, aber es gibt auch solche, deren Wirtschaft wächst. Entscheidend ist: Wo liegen unsere Interessen, wo jene dieser Länder, wo ergeben sich Anknüpfungspunkte für Geschäftsfelder? Vielen Ländern, insbesondere den ärmsten, drohen überdies immer wieder Liquiditäts- und Solvenzkrisen. Hier helfen die oft geforderten Schuldenschnitte nicht dauerhaft. Wir brauchen umfassendere Veränderungen von Ratings, aber auch verbesserte Steuersysteme in den betroffenen Ländern selbst. Das internationale Finanzsystem, das nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden ist, bildet die heutige Welt nicht mehr ab – auf die Gefahr hin, sie weiter zu spalten. Auch bei dieser globalen Neuausrichtung sollte die neue deutsche Bundesregierung ein Treiber sein und sowohl mit dem Globalen Süden als auch mit den USA in den Dialog gehen.
ZEIT ONLINE: Die USA sind aber in Donald Trumps Präsidentschaft multilateral auf dem Rückzug, sie treten sowohl aus dem Klimaschutzabkommen als auch aus der Weltgesundheitsorganisation aus. Wie soll Deutschland reagieren?
Kramp-Karrenbauer:
Wir meinen, dass Deutschland den internationalen Organisationen umso mehr
verbunden bleiben muss. Die nächste Bundesregierung sollte gemeinsam mit anderen Ländern jene Lücken füllen, die die USA gerade reißen. Wir sollten außerdem noch stärker als bisher
Koalitionen der Willigen zusammenführen, also Länder, die globale Probleme
weiter gemeinsam lösen wollen.
ZEIT ONLINE: Zurück zu Ihrer Forderung, deutsche Interessen müssten in der EZ eine größere Rolle spielen. Der Aufbau einer Wasserstoffproduktion in Namibia, die Zusammenarbeit mit rohstoffreichen Staaten oder afrikanischen Ländern, aus denen Flüchtlinge möglichst nicht weiterreisen sollen: Sind solche Projekte nicht schon jetzt von Eigennutz geprägt?
Kramp-Karrenbauer: Das mag sein, aber warum war dann eine der häufigsten Aussagen, die wir von unseren Gesprächspartnern im Globalen Süden gehört haben: Wir wissen nicht, was die deutschen Interessen sind? Vermutlich liegt das auch daran, dass mittlerweile jedes Ressort der Bundesregierung international aktiv ist, aber mit jeweils eigenen Zielen. Jetzt muss der nächste Schritt kommen: eine konsistente politische Strategie.
ZEIT ONLINE: Wer soll sie vorantreiben?
Kramp-Karrenbauer: Wir schlagen vor, die Rolle des Bundessicherheitsrates aufzuwerten bis zur Schaffung eines nationalen Sicherheitsrates. Ein Sicherheitsrat könnte als Arbeitsmuskel der gesamten Regierung dienen und vorausschauend Strategien entwickeln. Voraussetzung ist ein gemeinsames Bewusstsein: So sieht diese Welt da draußen aus, sie geht uns alle etwas an, wir müssen sie Hand in Hand gestalten. Das muss vom Tag eins der neuen Regierung an geschehen, radikal im Denken und pragmatisch in der Umsetzung. Die Trump-Administration hat das Tempo vorgegeben.
ZEIT ONLINE: Ist es nicht problematisch, alles unter dem Stichwort Sicherheit zu subsumieren? Das könnten Entwicklungsländer als Instrumentalisierung empfinden.
Kramp-Karrenbauer: Wir arbeiten mit einem umfassenden Sicherheitsbegriff. Dieser schließt zum Beispiel auch Fragen der Welternährung ein. Wenn eine Region infolge des Klimawandels kaum noch bewohnbar ist, geht es zuallererst um das Überleben von Menschen, aber eben auch um regionale, globale und unsere nationale Sicherheit. Wir sollten stärker vorausdenken: Welche Konflikte können daraus erwachsen, welche Konfliktrisiken, welche Fluchtursachen? Hier zeigt sich erneut, wie Außen- und Innenpolitik ineinandergreifen.
ZEIT ONLINE: Bei der Migration wird das am deutlichsten. Ihr Kommissionsbericht fordert auch eine Einwanderungsbehörde – im krassen Widerspruch zur "Zustrombegrenzung".
Kramp-Karrenbauer: Im Gegenteil! Wenn wir legale, gezielte und gesteuerte Zugangswege für Einwanderer verbreitern, dann können wir Druck aus den Asylverfahren nehmen und organisierter Kriminalität von Schleppern und Menschenhändlern das Handwerk legen. Zugleich schaffen wir eine Win-win-Situation. Die Vereinigten Staaten sind das Ergebnis großer Migrationswellen. Auch in kleinen Heimatmuseen des Hunsrücks findet man Dokumente über Menschen, die das Land verlassen mussten, weil sie ihre Familie nicht mehr ernähren konnten. Heute machen sich viele Menschen aus dem gleichen Grund auf den Weg – übrigens die meisten innerhalb des eigenen Kontinents. Wenn wir mit guter Vorbereitung in den Herkunftsländern Menschen hier die Chance geben zu arbeiten, dann hilft das doppelt. Uns, weil zusätzliche Fachkräfte kommen, und diesen Menschen, weil sie die Chance haben, legal nach Deutschland zu kommen und ein besseres Leben für sich und ihre Familien aufzubauen.
ZEIT ONLINE: Was genau soll eine solche Einwanderungsbehörde leisten?
Kramp-Karrenbauer: Sie sollte sich gezielt mit der Frage auseinandersetzen: Wen brauchen wir, wen werben wir aktiv an, wie funktioniert Einwanderung schneller und unbürokratischer? Das wäre auch ein Signal in die Welt hinaus. Wir haben bisher übersehen, dass wir auch bei den Fachkräften international im Wettbewerb stehen und gewiss nicht das beliebteste Ziel sind.
ZEIT ONLINE: Das dürfte sich durch die aktuelle Migrationsdebatte eher verschärfen.
Kramp-Karrenbauer: In vielen Gesprächen wurde unserer Kommission geschildert, dass Fachkräfte von außen mittlerweile klar ablehnen, in gewissen Regionen Deutschlands zu arbeiten – aus Sorge, dort rassistisch angegangen zu werden. Diesen Alltagsrassismus haben wir in unserem Bericht klar benannt. Menschen, die bei uns arbeiten sollen, wollen aber auch nicht dorthin ziehen, wo sie keine gute Wohnung finden oder ein halbes Jahr auf einen Termin bei der Ausländerbehörde warten müssen. Da müssen wir besser werden.
ZEIT ONLINE: Trotz all dieser globalen Herausforderungen wirken Sie unaufgeregt. Woher rührt Ihre Gelassenheit?
Kramp-Karrenbauer: Ein gewisses Gottvertrauen hilft. Aber das letzte Wort als Antwort auf Ihre Frage möchte ich Klaus Töpfer geben, der mich politisch sehr geprägt hat. In einer sehr aufgewühlten Bundestagsdebatte zur Atomenergie hat er einmal sinngemäß gesagt: Die Lage ist ernst, gerade deshalb müssen wir einen kühlen Kopf bewahren.
3 Kommentare
minxxx
Details
Wofür steht die Union?…Für Macht…wofür macht nichts…
N0b0dY
Details
Wer trägt die Verantwortung dafür, dass ich bei dieser Bundestagswahl nicht die Partei wählen kann, die ich wählen möchte? welche Politiker sind dafür verantwortlich, dass ich als Wähler dafür sorgen muss, dass die AfD nicht stärker wird, welche Politik hat uns hier hinführt?
Ich glaube tatsächlich, dass die Politik der CDU CSU einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, hat die Gesellschaft zu erodieren.
Fheingheist
Details
Geil. Der Lacher am Morgen! Ausgerechnet Krampf-Kapselklaus spricht vom Tellerrand...